Wie Inklusion gelingen kann – Ein Erfahrungsbericht
Ich bin seit fünf Jahren Schulbegleiterin. Momentan begleite ich einen Jungen mit Down-Syndrom in der 2. Klasse einer Grundschule. Es ist das zweite Kind, das ich mit Down-Syndrom begleite. In erster Linie sehe ich mich als Beobachterin, Begleiterin, Unterstützerin und Vermittlerin meines zu begleitenden Kindes.
Ich bin Sozialpädagogin und seit vielen Jahren im pädagogischen Bereich tätig.
Für mich ist im Laufe der Jahre das Thema Inklusion ein immer wichtigeres Thema geworden.
Der baden-württembergische Landtag hat im Juli 2015 die Änderung des Schulgesetzes zur schulischen Inklusion beschlossen. Die Eltern von Kindern mit Behinderung können nun wählen, ob ihr Kind eine allgemeinbildende Schule oder ein sonderpädagogisches Bildungs -und Beratungszentrum (SBBZ) besucht. Hierzu ist nicht in jedem Fall eine Schulbegleitung nötig.
Nun denkt man ja, damit ist der Weg für Inklusion an Schulen frei. Kinder mit und ohne Behinderung lernen nun nicht mehr nur gemeinsam sondern auch voneinander.
Aber weit gefehlt! Überall gibt es Probleme. Eltern müssen einen beschwerlichen Weg gehen, dass ihr Kind mit Behinderung auch wirklich an die Schule darf, in die auch seine Freunde aus dem Kindergarten gehen. LehrerInnen fühlen sich, in häufig großen Klassen, zurecht überfordert und von Schulbegleitern „beobachtet“. Oder es fehlt schlicht an entsprechenden Räumlichkeiten wie Intensivräume, Rückzugsräume, Entspannungs – und Bewegungsräumen, die eine gute Inklusion erst möglich machen.
SchulbegleiterInnen mangelt es oft an entsprechender pädagogischer Vorbildung. Manche Leistungsanbieter kümmern sich wenig um die von ihnen eingesetzten Schulbegleiter. Es fehlt an guter fachlicher Begleitung, an Supervisionsangeboten und entsprechender Bezahlung.
Sicherlich gäbe es noch Vieles zu bemängeln, aber ich erlebe hier an „meiner“ Grundschule, dass Inklusion auch gelingen kann;
Hierzu gehört eine gute Teamarbeit zwischen allen Beteiligten. Die Vernetzung zwischen Schulleitung, Klassenlehrer, Sonderpädagogen, Eltern und Schulbegleitern ist von größter Wichtigkeit. Es gilt zuzuhören, im Gespräch zu bleiben und verbindliche Absprachen zu treffen. Im Mittelpunkt muss hierbei immer das Wohl des Kindes stehen.
Ein weiterer wichtiger Baustein sind Sozialträger(Leistungsanbieter oder Schulbegleitungsträger), die ausschließlich pädagogisch qualifizierte SchulbegleiterInnen einstellen, Supervision und Weiterbildungen anbieten und damit für eine qualifizierte pädagogische Begleitung stehen, auf die Eltern, Schulen und Ämter positiv aufmerksam werden.
Die Klassenlehrerin und ich waren von Anfang an ein gutes Team. Wir waren und sind viel im Gespräch und haben viel voneinander gelernt. Sie stellt das Thema „Gelingende Inklusion in der Schule am Wohnort“ wie folgt dar:
Ich bin seit vielen Jahren Grundschullehrerin und bin seit 2020 zum ersten Mal Klassenlehrerin in einer Inklusionsklasse. Das Kind geht an die Schule im Wohnort und wird zieldifferent beschult. Inklusion ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, die nur gelingt, wenn alle Zahnräder ineinandergreifen! (siehe Abbildung)
- Zahnrad: Das Kind und seine Familie
- Zahnrad: Das Kind und seine Schulbegleitung
- Zahnrad: Das Kind und seine Klasse (Mitschüler und deren Eltern)
- Zahnrad: Das Kind und seine Klassenlehrerin
- Zahnrad: Das Kind und seine Lehrerin (SBBZ) für die individuelle Förderung
- Zahnrad: Kooperation zwischen Familie, Schulleitung, Klassenlehrer, Schulbegleitung, Lehrerin (SBBZ)
Hier wird der “Raum“ für das Kind eingerichtet. Er ist umso größer und vielfältiger, je mehr alle „Einrichter“ sich mit Vertrauen und Wertschätzung begegnen. So kann ein Kind sich willkommen und angenommen fühlen. In unserem Fall waren wir uns alle einig, wir wollen das Beste für das Kind an unserer Schule mit unseren Möglichkeiten.
Und das Statement der Klassenlehrerin geht noch umfassender weiter;
Das Zauberwort heißt Akzeptanz und Transparenz.
Unser Kind kam von einem Kindergarten im Ort. Die Hälfte der Erstklässler und deren Eltern (mit denen auch eine Laufgemeinschaft realisiert werden konnte) kannte es bereits vom Kindergarten. Es war ganz natürlich, dass es anders lernt als die anderen und dafür mehr Hilfe durch eine Schulbegleitung bekommt. So mussten wir in der Klasse gar nicht groß darüber sprechen. Die Hälfte der Klasse aus dem gleichen Kindergarten war das Vorbild für die andere Hälfte. Es war einfach normal. Auch in der Elternschaft habe ich es nicht erlebt, dass Ängste geäußert wurden das Kind könnte zu viel Aufmerksamkeit erhalten, die den anderen dann fehlen könnte. Unser Kind ist in der Klassengemeinschaft akzeptiert und angenommen.
Wegbereiter dafür ist meines Erachtens die Familie des Kindes, die erfolgreich vermittelt hat, dass es sich ohne Ausnahme an die Regeln der Gemeinschaft anpassen muss. Nach dem Motto: Jeder ist (und lernt) einzigartig, aber die Verhaltensregeln für gutes Miteinander sind für ALLE gleich.
Im Schulalltag kann ich die Inklusion gut umsetzen, weil meine Schulleitung mir die Ressourcen dafür gibt.
Ohne die kompetente Schulbegleitung, die von Anfang an eine gute Beziehung mit dem Kind (und mir) aufgebaut hat, wäre das natürlich nicht möglich. Das wird mir sehr bewusst, an den seltenen Tagen ohne sie. Ohne die funktionierende Zusammenarbeit zwischen Kind, Schulbegleitung und Lehrerin, ist eine Lehrerin (allein) der Herausforderung nicht gewachsen.
Unerlässlich ist auch die gelingende Zusammenarbeit mit der Lehrerin vom SBBZ. Sie ist unsere Rückversicherung, dass wir mit dem Kind auf dem richtigen Lernweg sind. Die wöchentliche Einzeldiagnose und – förderung mit anschließender Rücksprache und Tipps für unseren Schulalltag, geben uns wertvollen Halt und ermöglichen und erleichtern uns unsere Arbeit.
Die regelmäßigen Gespräche mit allen Beteiligten sind geprägt von Vertrauen und Wertschätzung. Nach nun fast zwei Jahren haben wir immer noch das gleiche Ziel: Jeder möchte das Beste für das Kind. Und wir sind überzeugt, dass jeder von uns (Eltern, Lehrer, Schulbegleitung) dafür sein Bestes gibt. Und wir nutzen den Austausch um uns zu fragen, was wir noch besser machen können.
Fazit für mich als Klassenlehrerin:
Man kann Inklusion gut umsetzen, wenn man sich nicht überfordert fühlt. Ich fühle mich nicht überfordert, weil wir alle am gleichen Strang ziehen. Die Gesamtaufgabe Inklusion haben wir so aufgeteilt, dass jeder von uns (Kind, Eltern, Lehrer, Schulbegleitung) eine Teilaufgabe übernimmt, von der er das Gefühl hat, dass er diese meistern kann. Die Schulleitung schafft uns dafür gute Rahmenbedingungen.
Inklusion gelingt nur dann, wenn alle Zahnräder ineinandergreifen.
Soweit das Statement der Klassenlehrerin. Dieses zeigt auch sehr klar mit wieviel Engagement und „Herzblut“ sie ihre Arbeit tut.
Fazit der Schulbegleiterin:
Bei allem Positiven, was wir hier erlebt haben, ist mir klar, dass Inklusion mit so vielen Beteiligten ein sehr fragiles Gebilde ist, dass sehr schnell auch wieder aus dem Gleichgewicht kommen kann.
Es gibt sicherlich noch viel zu tun, wenn es um die inklusive Beschulung von Menschen mit Behinderungen geht. Gerade auch deshalb fanden wir es wichtig, für die Betroffenen auch einmal zu beschreiben, wie Inklusion gelingen kann. Hier an unserer Schule macht inklusives Arbeiten jedenfalls Spaß!
Susanne Schäfer, Heilpädagogische Praxis Ulrich Zimmermann, Bruchsal und Bretten